Die zukünftige Entwicklung der Weltbevölkerung

  • Vorhersagen zur zukünftigen Entwicklung der Weltbevölkerung werden von der Statistikabteilung der UN publiziert. Die Vorhersagen werden etwa alle zwei Jahre aktualisiert. Es gibt jeweils drei Varianten, wobei die mittlere Variante diejenige ist, die viele Studien für ihre Betrachtungen verwenden.

  • Die mittlere Vorhersage hat sich in den letzten Jahren von Publikation zu Publikation systematisch zu immer höheren Werten verschoben. Gründe dafür sind:

    • die Kindersterblichkeit hat weltweit schneller abgenommen als zunächst angenommen,

    • die Geburtenrate in Ländern südlich der Sahara ist langsamer zurückgegangen als zunächst angenommen,

    • der Einfluss von AIDS is geringer als ursprünglich gedacht.

  • Als eine Konsequenz sind jeweils alle früheren Betrachtungen immer zu optimistisch.

  • Extrapoliert man den systematischen Anstieg der Vorhersagen, so erkennt man, dass nicht wie üblich angenommen die mittlere Variante wahrscheinlich ist, sondern die hohe Variante oder sogar noch höhere Werte.

  • Ergebnis sind womöglich 11,6 Milliarden statt der erwarteten 9,7 Milliarden Menschen in 2050 und über 16 Milliarden statt 11 Milliarden in 2100. Daher wird der Druck auf alle Ressourcen bis 2100 um einen Faktor 1,5 und damit wesentlich höher sein als die allermeisten Szenarien vorhersehen.

  • Dies ist fatal, weil die Politik auf den Ergebnissen dieser Szenarien aufbauend ihre politischen Strategien entwickelt.

Die hier vorgestellte Diskussion ist an eine Publikation in ChemBioEng Reviews angelehnt:
Pfennig, A.: Sustainable Bio- or CO2-Economy: Chances, Risks, and Systems Perspective.

ChemBioEng Reviews (2019) 6(3), 90-104.

Die Weltbevölkerung ist eine ganz wesentliche Größe, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Wird eine gute Versorgung der Menschen vorausgesetzt bedeutet dies für jeden Menschen eine bestimmte Menge an benötigten Nahrungsmitteln, Energie und sonstigen Materialien. Gleichzeitig führt dies pro Person zur Erzeugung einer bestimmten Abfallmenge, zu der auch das klimaschädliche Kohlenstoffdioxid gehört. Diese für das Wohlergehen eines Menschen nötigen Pro-Kopf-Werte multipliziert mit der Zahl der Menschen auf dieser Erde ergibt den Gesamtbedarf an Ressourcen und die Gesamtmenge der erzeugten Abfallstoffe. Ein Fehler in der Abschätzung der Weltbevölkerung bedeutet einen ganz analogen Fehler bei den abgeschätzten Gesamtwerten der Verbräuche und der Abfallerzeugung. Daher ist die Anzahl der weltweit lebenden Menschen ein so wichtiger Faktor in den betrachteten Szenarien. Um so wichtiger ist es, sich der möglichen Ungenauigkeiten in diesem Faktor bewusst zu werden.

In Abbildung 1 sind drei Varianten für die Entwicklung der Weltbevölkerung gezeigt, die von der Statistikabteilung der UN 2017 publiziert wurden (https://population.un.org/wpp/). In dieser Version wurde erstmals auch mit angegeben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten der verschiedenen Varianten ist. Die weitaus höchste Wahrscheinlichkeit hat die mittlere Variante, die niedrige und hohe Variante sollen mit Wahrscheinlichkeiten deutlich unter 1% eintreten, erscheinen also zunächst als extrem unwahrscheinlich.

the three UN population prospects

Abbildung 1: Drei Varianten der Bevölkerungsvorhersage von der UN (nach DOI: 10.1002/cben.20190006 mit freundlicher Genehmigung)

 

Da ich mich seit über 10 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftige, war mir aufgefallen, dass damals die mittlere Variante kurz nach Mitte des Jahrhunderts eine maximale Bevölkerungszahl vorhersagte, die danach zurückging. Die aktuelle Vorhersage zeigt dagegen für die mittlere Variante eine stetig wachsende Weltbevölkerung, wobei die Zunahme erst gegen Ende des Jahrhunderts abnimmt und die Kurve flacher wird. Da die Kurven also die Tendenz haben, sich von Publikation zu Publikation nach oben zu verschieben, habe ich die Vorhersagen für das Jahr 2050 verglichen, wie es in Abbildung 2 gezeigt ist. Dargestellt sind also stets die Werte, die von der UN nach den drei Varianten für 2050 abgeschätzt, aber in unterschiedlichen Jahren publiziert wurden. Die ausgewerteten Publikationen reichen also von 1996 bis 2017.

Abbildung 2: Entwicklung der Vorhersage der Weltbevölkerung von 2050 dargestellt als Funktion der Jahre, in denen die Vorhersage jeweils publiziert wurde. (nach DOI: 10.1002/cben.20190006 mit freundlicher Genehmigung)

 

Es ist deutlich, dass seit 2002 eine sehr systematische Zunahme zu beobachten ist, die nach Auskunft der UN-Statistikabteilung auf drei wesentliche Faktoren zurückzuführen ist (Patrick Gerland, Ph.D., Department of Economic and Social Affairs, United Nations, New York, persönliche Mitteilung, 2018)::

  • die Kindersterblichkeit hat weltweit schneller abgenommen als zunächst angenommen,

  • die Geburtenrate, genau genommen die sogenannte Fertilität ausgedrückt in Kinder pro Frau in ihrem gesamten Leben, ist in Ländern südlich der Sahara langsamer zurückgegangen als zunächst angenommen,

  • der Einfluss von AIDS ist geringer als ursprünglich gedacht, auch da heute eine bessere medikamentöse Behandlung möglich ist.

Es ist zwangsläufig so, dass solche Vorhersagen eine gewisse Unsicherheit aufweisen. Dies ist prinzipiell unvermeidlich, denn die Zukunft ist 'offen', sie kann also ganz grundlegend nicht vorhergesagt werden. Dies wird sofort einsichtig, wenn man sich beispielsweise vor Augen führt, dass alleine ein Wahlausgang in den USA oder einem anderen großen Land entscheidet, wie sich die Weltwirtschaft entwickelt, was seinerseits das weltweite Geschehen natürlich wesentlich beeinflusst. Daher können seriöser Weise nur sogenannte Szenarien entwickelt werden, die mögliche zukünftige Entwicklungen beschreiben. Diese möglichen Zukünfte sollten aber sinnvollerweise so gewählt werden, dass sie etwas zu optimistische und etwas zu pessimistische Voraussagen mit berücksichtigen. Durch den Vergleich kann man dann auch erkennen, welche Einflüsse besonders wesentlich für das Ergebnis der Szenarien sind.

Diese Unvorhersagbarkeit der Zukunft wird durch die sogenannte Unwissenheit (Engl.: ignorance) charakterisiert, die also grundlegend nicht quantifiziert, also in genaue Zahlen gefasst werden kann. Dagegen kann die sogenannte Unsicherheit, die sich auf bekannte mögliche Ungenauigkeiten bezieht, mindestens durch eine Abschätzung, oft auch durch Auswertung bekannter Beobachtungen quantitativ angegeben werden. Dies geschieht oft, indem ein +/--Wert angeführt wird.

Den Trend in Abbildung 2 kann man nun durch Geraden annähern, die die Daten seit 2002 beschreiben. Die Geraden für die drei Varianten müssen sich in 2050 treffen, weil in diesem Publikationsjahr die Zahl der Menschen ja eigentlich nur noch nachgezählt werden muss, was zu einer eindeutigen Zahl führt. Praktisch wird es auch in 2050 zwar nur eine Abschätzung geben, die Unsicherheit wird aber so klein sein, dass dies hier durch einen einzigen Wert angenähert werden kann. Die Steigungen der Geraden und der Schnittpunkt in 2050 wurden numerisch an die Daten angepasst. Es ergibt sich für 2050 ein Wert von 11,62 Milliarden Menschen. Dieser Wert ist auch in Abbildung 1 mit eingetragen. Es wird deutlich, dass diese Auswertung sogar deutlich über der hohen Variante liegt. Damit ist die hohe Variante mindestens so wahrscheinlich wie die üblicherweise verwendete mittlere Variante.

Dies lässt sich so formulieren, dass die von der UN ausgewertete Unsicherheit zwar die mittlere Variante nahelegt, die hier gezeigte Metastudie aber verdeutlicht, dass, wenn der Trend in unserer Wissens-Zunahme über die Weltbevölkerung sich weiter wie in der Vergangenheit entwickelt, die hohe Variante genauso wahrscheinlich ist. Es ist im Prinzip sogar eine noch darüber liegende Entwicklung nicht ausgeschlossen. Seriöse Szenarien müssen also mindestens die mittlere und die hohe Variante mit berücksichtigen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass - wenn es so weitergeht wie bisher - die hohe Variante eintreffen wird.

Die Konsequenzen sind fatal, denn in 2100 ist die Weltbevölkerung dann womöglich 1,5-fach größer als üblicherweise angenommen. Jedem Menschen bleiben von den Ressourcen dann nur 2/3 gegenüber dem, was wir heute eigentlich annehmen und die Abfallströme sind 1,5-fach größer als erwartet. Da alle Szenarien die auf der mittleren Variante aufbauen zeigen, dass wir stets an der Belastungsgrenze unseres Ökosystems wirtschaften, bedeutet dieser Faktor also, dass wir unter Berücksichtigung einer genauso wahrscheinlichen ungünstigeren Variante das Ökosystem um diesen Faktor dauerhaft wesentlich überlasten. Die Bevölkerung wird fatalerweise nach der hohen Variante auch bis in alle absehbare Zukunft quasi exponentiell weiter ansteigen. Ein optimistisches Abflachen der Entwicklung wie bei der mittleren Variante ist nicht in Sicht.

Einen wesentlichen Zusammenhang bezüglich der Weltbevölkerung gilt es abschließend noch zu betrachten, der für die Diskussion der Wechselwirkungen wichtig ist. In Abbildung 3 ist die Fertilität, also wie viele Kinder eine Frau in ihrem Leben bekommt, als Funktion des Bruttoinlandproduktes pro Person für verschiedene Länder aufgetragen. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) gibt an, wie viele Güter und Dienstleistungen in einem Land als Endprodukte in einem Jahr erzeugt beziehungsweise erbracht wurden. Das BIP charakterisiert also die Wirtschaftskraft im jeweiligen Land. Die Grafik zeigt, dass wie zu erwarten gerade in ärmeren Ländern auch heute noch die Kinderzahl sehr hoch ist. Nachhaltig ist es ja, wenn ein Elternpaar zwei Kinder bekommt, denn dann werden die Eltern längerfristig quasi durch die Kinder ersetzt. Da Kinder leider sterben, bevor sie selbst Eltern werden können, dürfen es sogar etwa 2,03 Kinder pro Frau sein ohne dass die Weltbevölkerung wächst. Gelänge es, die Fertilität global spontan auf diesen Wert zu senken, würde sich innerhalb von etwa 50 Jahren die Bevölkerungszahl stabilisieren und langfristig bei etwas über 9 Milliarden Menschen einpendeln.

Abbildung 3: Fertilität, also Kinder pro Frau in ihrem Leben als Funktion des Bruttoinlandproduktes pro Kopf im jeweiligen Land. Die Größe der Kreise enstpricht der Bevölkerungszahl im jeweiligen Land. (Daten: https://population.un.org/wpp/)

 

Die Grafik zeigt, dass die Fertilität in vielen Ländern noch sehr viel höher als dieser nachhaltige Wert ist. Darunter sind auch Länder wie Nigeria, die selbst bereits eine recht große Einwohnerzahl aufweisen, was durch die Größe der Kreise charakterisiert ist. Diese hoch liegenden großen Kreise werden also innerhalb weniger Jahrzehnte noch deutlich größer werden und können mittelfristig das Verhalten des Gesamtsystems bestimmen. Beispielsweise wird sich bei einer Fertilität von 6 Kindern pro Frau die Bevölkerungszahl innerhalb einer Generation, also 25 bis 30 Jahren, etwa verdreifachen, nur leicht reduziert durch die Kindersterblichkeit. Da innerhalb dieser kurzen Zeit die Eltern noch leben werden, weil die Bevölkerung gerade in diesen Ländern in Durchschnitt recht jung ist, wird sie sich sogar fast vervierfachen. Ohne die Werte einzelner Länder diskutieren zu wollen, lässt sich also deutlich erkennen, wie wichtig es ist, die Entwicklung in weniger entwickelten Ländern voranzutreiben, um das globale Bevölkerungswachstum zu begrenzen.