Wie können wir einen freien Willen haben?

  • "Freier Wille" bedeutet, dass wir selbst das Ergebnis einer freien Entscheidung erst dann kennen, wenn diese Entscheidung, die von unserem Unterbewusstsein getroffen wird, das Bewusstsein erreicht und somit erinnerbar geworden ist.

  • Eine freie Entscheidung ist zufällig, da Neuronen auf molekularer Ebene wirken. Die Präferenzen für die unterschiedlichen Optionen, zwischen denen entschieden werden kann, werden durch unsere Struktur als Mensch bestimmt, denn Struktur kann Materie zu einem bestimmten Verhalten zwingen.

  • Bei einer "bewussten Wahl" sind die Präferenzen durch vorheriges Nachdenken vorgegeben und können nahe bei Null oder Eins liegen. So werden bestimmte Optionen definitiv oder definitiv nicht gewählt.

  • Insgesamt kann eine freie Wahl als eine Bifurkation verstanden werden, die sich als Lyapunov-Instabilität in der komplexen Struktur unseres Gehirns entwickelt.

Was meinen wir, wenn wir sagen, dass wir einen freien Willen haben? Typischerweise wird dies so dargestellt, dass wir im Falle einer freien Entscheidung grundsätzlich auch eine andere mögliche Option hätten wählen können. Offensichtlich kann diese Aussage jedoch nicht überprüft werden. Eine Überprüfung würde erfordern, dass wir die Wahl unter identischen Bedingungen und damit auch zur gleichen Zeit und an demselben Ort wiederholen, um zu sehen, ob das Ergebnis der Wahl tatsächlich auch anders hätte ausfallen können. Da wir nicht in der Zeit zurückreisen können, lässt sich dies nicht überprüfen.

Wie können wir dennoch den Eindruck haben, dass wir einen freien Willen besitzen? Es scheint ausreichend zu sein, wenn wir selbst die von uns gewählte Option erst genau in dem Moment erkennen, in dem die Entscheidung getroffen wird. Nach den bisherigen Überlegungen zum Bewusstsein wird dies natürlich der Fall sein. Da unser Unterbewusstsein der aktive Teil ist, der die Wahl trifft, wird unser Bewusstsein und damit unser Gedächtnis erst genau dann das Ergebnis der Wahl erkennen, wenn die Wahl bereits erfolgt ist. Um den Eindruck zu gewinnen, dass die Entscheidung frei ist, ist es zudem erforderlich, dass wir selbst nicht in der Lage sind, das Ergebnis vorherzusagen, zum Beispiel, weil wir unsere Persönlichkeit kennen und wissen, wie wir typischerweise entscheiden. Eine solche Vorhersage ist aber unmöglich, da unsere Neuronen auf der molekularen Skala anknüpfen, wo nur maximal etwa einige 10 Neurotransmitter-Moleküle entscheiden, ob ein Neuron feuert oder nicht (10 micro-Molar Calcium-Ionen induzieren Neuronen-Feuern * 20 Nanometer Breite des synaptischen Spalts * 0.04 Quadrat-Mikrometer Fläche einer Synapse * 6.022 * 1023 Moleküle/Mol = 5 Moleküle). Daher beeinflusst auch die molekulare Zufälligkeit jede Entscheidung, die damit also einen zufälligen Aspekt ausweist.

Gleichzeitig gehen wir aber auch davon aus, dass eine Entscheidung nicht völlig zufällig ist, sondern dass wir als Person mit unserer Persönlichkeit die Entscheidung verursachen. Wir als Struktur haben einen bestimmenden Einfluss auf die Moleküle, wie es für Bénardzellen beschrieben wurde. Auf struktureller Ebene können wir also das Ergebnis bis zu einem gewissen Grad bestimmen. Während es nicht notwendig ist, dass unsere Struktur das Ergebnis jeder einzelnen Entscheidung genau definiert, ist es in vielen Fällen völlig ausreichend, dass die Wahrscheinlichkeit für die jeweilige Wahl festgelegt ist. Ein gewisses Maß an Zufälligkeit muss immer bestehen bleiben, denn sonst hätten wir nicht den Eindruck eines freien Willens.

Dies lässt sich anhand meines Besuches bei meinem Lieblingsitaliener betrachtet. Da ich Veganer bin, habe ich im Wesentlichen zwei Wahl-Möglichkeiten von der Speisekarte, nämlich Spaghetti Aglio, Olio e Peperoncino oder einen schön zubereiteten bunten Salat mit einer Sauce Vinaigrette. Die Spaghetti sind ein Lieblingsessen von mir, also werde ich sie bei etwa 80% meiner Besuche wählen. Diese Wahrscheinlichkeit definiert meine Persönlichkeit, ohne dass dies das Ergebnis einer Auswahl aus der Speisekarte bei einem bestimmten Besuch im Restaurant festlegt. Gleichzeitig ist die Wahrscheinlichkeit für mich, Scaloppine zu wählen, ziemlich genau Null, denn ich bin Veganer. Wenn wir also durch frühere Überlegungen zu einer definitiven Schlussfolgerung in Bezug auf einige wesentliche Entscheidungen in unserem Leben gekommen sind, können die Wahrscheinlichkeiten sehr wohl im Wesentlichen Null sein, so dass wir uns nie für diese Option entscheiden, oder im Wesentlichen Eins, so dass wir uns immer für diese Option entscheiden werden. Diese Wahrscheinlichkeiten werden dann gespeichert und sind so ins Bewusstsein eingegangen. Eine bewusste Wahl bezieht sich also auf die Wahl basierend auf erinnerten Wahrscheinlichkeiten, die im Wesentlichen sogar praktisch 0 oder 1 sein können.

Wie auf molekularer Ebene, so ist auch in unserem Gehirn bei der Entwicklung einer Entscheidung eine Lyapunov-Instabilität zu erwarten, da wir ein komplexes System mit vielen Feedbackschleifen sind. Das bedeutet, dass das Ergebnis einer Entscheidung, die lediglich eine Verzweigung darstellt, irgendwo in unserem Gehirn eingeleitet wird und dann anwächst, bis schließlich ein Zustand erreicht ist, in dem unsere Entscheidung im Bewusstsein ankommt und somit erinnert werden kann. Hier wird auch deutlich, dass die Entscheidung uns individuell zugeschrieben werden muss, denn es ist unsere persönliche Struktur, die die Grundlage für die Entwicklung der Ljapunov-Instabilität in der Form legt, in der sie sich entfaltet. Um einige Details des Prozesses zur Entscheidungsfindung zu beschreiben, kann es sogar sein, dass Teilentscheidungen an verschiedenen Stellen in unserem Gehirn getroffen werden. So kann es beispielsweise in einem Bereich, der eher unsere Emotionen berücksichtigt, durchaus sein, dass eine Teilentscheidung getroffen wird, die sich mit ihrer Lyapunov-Zeit entwickelt, während in einem eher rationalen Bereich eine andere Teilentscheidung entsteht, die mit einer anderen Lyaponov-Zeit anwächst. An einem bestimmten Punkt müssen diese Teilentscheidungen zu einer endgültigen Entscheidung führen, die wiederum an diesem letzten Punkt der Entscheidung einerseits durch Zufall, andererseits durch unsere Persönlichkeit beeinflusst wird, wo letztere eine gewisse Konsistenz in unseren Entscheidungen bewirkt.