Konsequenzen aus COVID-19-Simulationen

+++ aktualisierte Auswertungen auf facebook, beispielsweise für die Entwicklung der Neuinfizierten +++

Corona stellt uns alle vor große Herausforderungen. Gleichzeitig gibt es viele Fragen: Wie können wir das Virus besiegen? Wann können wir die Maßnahmen lockern? Wie weit dürfen wie sie dann lockern? Helfen Gesichtsmasken? Bei dieser Fragen hilft es, die Ausbreitung des Virus grundlegend zu verstehen. Dazu werden hier Simulationen vorgestellt und diskutiert.

Basierend auf einer Publikation des Robert Koch-Instituts in Berlin wurde dazu ein Excel-Tool erstellt, das die Ausbreitung der Epidemie in Deutschland wie dort beschrieben simuliert. Das Modell wurde um die Berücksichtigung von Altersgruppen erweitert, so dass auch altersabhängige Effekte beschrieben werden könne. Zudem wurde eine zeitabhängige Infektiosität berücksichtigt.

Das Excel-Tool (ohne Makros) gibt es hier zum Runterladen. Die Simulationen können die COVID-19-Epidemie nicht exakt vorhersagen, beschreiben aber wesentliche Eigenschaften der Virus-Infektion. Die Nutzung und die Ergebnisse sind in einem Video erläutert. Dazu ist hier der Link. Es gibt außerdem ein sehr kurze Zusammenfassung für diese Video. Hier sind die Folien der Videos als PDF hinterlegt. Testen Sie gerne mit dem COVID-19-Simulator, wie sich das Virus ausbreitet und welche Konsequenzen sich ergeben.

Einige Ergebnisse, die in dem Video erläutert werden, sind:

  • Die Ausbreitung nur soweit zu reduzieren, dass die Intensivbetten der Krankenhäuser nicht überlastet werden, führt immer zu einer nennenswerten Durchinfektion der Gesellschaft und vielen Toten. Gleiches gilt auch für die Forderung nach einer gewissen Verlängerung der Zeitspanne, in der eine Verdoppelung der Infektionen stattfindet (siehe mathematische Anmerkung am Ende der Seite). Ein solcher Umgang mit der Epidemie ist letztendlich ethisch nicht akzeptabel.
  • Ziel kann daher nur eine sukzessive Reduzierung der Neuinfektionen sein, denn nur so bleibt die Anzahl der Todesfälle begrenzt. Zentral ist, dass die effektive Reproduktionszahl möglichst deutlich unter 1 bleibt. Die Reproduktionszahl ist die Anzahl der Personen, die ein Infizierter mit den Maßnahmen gegen die Virusausbreitung ansteckt. Die Basis-Reproduktionszahl R0 ist der Wert ohne Gegenmaßnahmen, die effektive Reproduktionszahl, auf die es letztendlich ankommt, der entsprechende Wert mit den Maßnahmen. Eine Näherung für die Reproduktionszahl ist das Verhältnis der Zahl der Neuinfektionen an einem Tag zwischen dem aktuellen Wert und dem vor genau einer Woche.
  • Eine lediglich Verlangsamung der Ausbreitung und die wirklich Reduzierung der Neuinfektionen unterscheiden sich nur durch eine geringfügige Intensivierung der Gegenmaßnahmen. Daher ist es nicht einzusehen, warum wir die Gegenmaßen nicht um dieses Wenige erhöhen, um das Virus mittelfristig auszurotten.
  • Die effektive Reproduktionszahl setzt sich aus der Anzahl der Kontakte eines Menschen und der Wahrscheinlichkeit zusammen, dass bei dem Kontakt die Infektion weitergegeben wird. Beides kann und muss reduziert werden, um die effektive Reproduktionszahl zunächst maximal unter den Wert 1 zu drücken, um möglichst schnell die noch hohen Zahlen der Neuinfektionen zu reduzieren. Je mehr wir uns anstrengen, um weniger Todesfälle gibt es und um so schneller werden wir die Krise überwunden haben.
  • Die Reproduktionszahl ist der Mittelwert über die gesamte Gesellschaft. Da so kleine Unterschiede dieses Wertes zwischen Erfolg und Misserfolg entscheiden, bedeutet dies, dass jeder individuelle Beitrag zur Reduzierung ganz wesentlich ist. Es muss also Jeder und Jede dazu beitragen, die effektive Reproduktionszahl maximal zu reduzieren.
  • Erst nach einer nennenswerten Reduzierung der Neuinfektionen können die Gegenmaßnahmen reduziert werden, wobei die effektive Reproduktionszahl durch Aufrechterhaltung von ausreichenden Gegenmaßnahmen immer noch unter 1 gehalten werden muss. Diese Phase muss vermutlich über viele Monate aufrechterhalten werden.
  • Um die effektive Reproduktionszahl gering zu halten, können gerade auch selbst gefertigte Masken dienen. Studien zeigen, dass selbst einlagige Stoff-Masken recht große Anteile der Viren zurückhalten. Eine Erhöhung auf 2 oder 3 Lagen kann die Wirksamkeit weiter verbessern. Mehr Lagen machen absehbar keinen Sinn, weil dann die Höhe des Leckage-Luftstroms z.B. neben der Nase erhöht wird und damit die Wirksamkeit wieder abnimmt. Das bedeutet auch: Stoffmasken schützen nicht nur die anderen sondern auch den Träger. Die Diskussion um die ‚Sicherheit‘ der Masken ist falsch geführt. 100%-ige Sicherheit geben auch professionelle FFP3-Masken nicht. Die Masken reduzieren aber auch die Ansteckungswahrscheinlichkeit für den Träger, was aktuell häufig angezweifelt wird. Für das Eindämmen der Epidemie ist es zudem gar nicht entscheidend, das jeder individuell 100% geschützt ist, sondern nur, dass die die Wahrscheinlichkeit einer Infektion in der Gesamtgesellschaft reduziert wird, denn das ist entscheidend für die effektive Reproduktionszahl. Das Tragen von Masken darf dabei natürlich nicht zu einem lockereren Umgang mit anderen Maßnahmen führen. Die Abstandsregelungen, das sogenannte Social Distancing muss also weiter aufrecht erhalten bleiben. Professionelle Masken sollen Krankenhäusern vorbehalten bleiben.
  • Das in den Medien oft zu hörende Argument, dass man sich durch das Tragen einer einfachen Maske nicht selbst schützt, sondern nur die anderen, zeigt die Absurdität mancher Diskussionen, denn wenn alle eine Maske tragen würden, dann würde sich - bei identischer Argumentation - niemand anstecken, was offenbar auch für die Träger ein erheblicher Vorteil ist.
  • Solange in einem Land die effektive Reproduktionszahl deutlich unter 1 bleibt, führen auch aus anderen Ländern importierte Infizierte nur zu einem überschaubaren Anwachsen der Todesfälle bei der eigenen Bevölkerung. In der Nähe von sogenannten Hot-Spots oder aus besonders betroffenen Regionen der Welt machen Einreisebeschränkungen allerdings Sinn, um lokal die effektive Reproduktionszahl zu reduzieren. Die Beschränkungen können aber auch – je nach Situation –aus Quarantäne-Maßnahmen bestehen.
  • Da der Lockdown Wirtschaftskraft kosten wird, wird die Energiewende zur Bekämpfung des Klimawandels erschwert, weil wir dafür ja Wirtschaftskraft für die anstehenden Investitionen benötigen. Dies kann teilweise womöglich kompensiert werden, wenn wir die aufgrund der COVID-19-Pandemie das Gleichgewicht zwischen individuellen Freiheiten, individuellen Pflichten und gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen lernen neu zu bewerten. So können wir einsehen, dass aufgrund drohender gesamtgesellschaftlicher Konsequenzen individueller Entscheidungen und Handlungen auch ganz konkrete individuelle Verpflichtungen resultieren.

Zum Schluss: Bleiben Sie informiert und gesund!

Quellen:

Grundlegendes Modell:

Heiden, M., Buchholz, U.: Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland. http://dx.doi.org/10.25646/6571.2

Altersabhängigkeit der Mortalität:

The Epidemiological Characteristics of an Outbreak of 2019 Novel Coronavirus Diseases (COVID-19) - China, 2020. Zijian Feng et al., Chinese Center for Disease Control and Prevention, CCDC Weekly 2020, 2(8), 113-122. https://doi.org/10.3760/cma.j.issn.0254-6450.2020.02.003

S. Ruan: Likelihood of survival of coronavirus disease 2019. The Lances, Infectious Diseases, March 30, 2020. https://doi.org/10.1016/S1473-3099(20)30257-7

Zeitabhängigkeit der Infektiosität:

He, X. et al., 2020: Temporal dynamics in viral shedding and transmissibility of COVID-19. https://doi.org/10.1101/2020.03.15.20036707

Effizienz von Gesichtsmasken:

A. Davies, K.-A. Thompson, K. Giri, G. Kafatos, J. Walker, A. Bennett. Testing the Efficacy of Homemade Masks: Would They Protect in an Influenza Pandemic? Disaster Medicine and Public Health Preparedness, 7(4), August 2013, 413-418. https://doi.org/10.1017/dmp.2013.43

Weitere Informationen zu Masken, praktische Ratschläge und Untersuchungen:

https://smartairfilters.com/en/blog/category/masks/

Mathematische Anmerkung zur Zeit für eine Verdoppelung der Anzahl der Infizierten:

Die Zahl, die in diesen Überlegungen betrachtet wird, ist die kumulierte Zahl der Infizierten (A. Kekulé, Coronavirus - Wege aus dem Lockdown, Die Zeit, 26.03.2020). Wie falsch dieses Argument ist, wird deutlich, wenn man den Fall einer Reproduktionszahl von 1 betrachtet, die genau die Grenze zwischen exponentieller Ausbreitung einer Epidemie und erfolgreicher Kontrolle der Virusvermehrung darstellt. Bei einer Reproduktionszahl von 1 ist die tägliche Zahl der Infizierten eine Konstante, sagen wir 1000 als Beispiel. Dann beträgt die kumulierte Anzahl der Infizierten an aufeinanderfolgenden Tagen 1000, 2000, 3000, 4000, 5000, 6000 usw. Die erste Verdoppelung erfolgt zwischen Tag 1 und 2, also an einem Tag. Die nächste Verdoppelung erfolgt zwischen Tag 2 und 4, d.h. an 2 Tagen, die nächste zwischen 4 und 8, d.h. an 4 Tagen. Es wird klar, dass ohne eine grundsätzliche Änderung der Virusausbreitung die Zeit für die Verdoppelung der Anzahl der Infizierten automatisch zunimmt. Hinzu kommt, dass die Verdoppelungszeit nur dann sinnvoll anwendbar ist, wenn sich die Epidemie mit einem ungebremsten Wachstum exponentiell ausbreitet. Sobald Gegenmaßnahmen ergriffen werden, liefert die
Summe der Infizierten, die dem Integral der Neuinfizierten entspricht, kein sinnvolles Maß mehr. Genauso funktioniert die Verdoppelungszeit nicht sinnvoll, wenn die Zahlen der Neuinfizierten zurückgeht - was ja eigentlich das Ziel der Gegenmaßnahmen ist. Daher kann diese Verdoppelungszeit keine gute Richtschnur für die Bewertung der Ausbreitung der Epidemie sein. Sie ist vor allem viel weniger aussagekräftig als die Reproduktionszahl, die die Situation klar charakterisiert und es erlaubt, zwischen exponentieller Ausbreitung (R > 1) und erfolgreicher Bekämpfung des Virus zu unterscheiden (R < 1). Die Reproduktionszahl kann angenähert werden, wenn das Verhältnis der Zahl der Neuinfektionen an einem Tag zwischen dem aktuellen Wert und dem vor einer festgelegten Zeit gebildet wird. Wenn die Zeitspanne dieser Auswertung der mittleren Zeit für eine Generation der Infektionsweitergabe enstpricht, wird die Reproduktionszahl auf diese Weise recht genau gefunden. Bei COVID-19 liegt diese Zeit etwa bei einer Woche, so dass eine Auswertung zwischen zwei Daten mit einer Woche Abstand aktuell sehr sinnvoll erscheint. Die Auswertung dieser Daten um zu erkennen, ob die Gegenmaßnahmen greifen, muss aufgrund der weiten Verteilung z.B. der Inkubationszeit und anderer Variablen mit einer gewissen Unschärfe über den Übergang hinweg gerechnet werden.