Kausalität und Ebenen bei der Beschreibung der Realität

  • Wir betrachten die Realität auf verschiedenen Ebenen, die von Quanten und Elementarteilchen auf der unteren Ebene über Moleküle und makroskopische Objekte bis hin zu Strukturen reichen. Das Verhalten jeder Ebene wird emergent durch das Verhalten der Elemente auf der darunter liegenden Ebene induziert.

  • Wir beschreiben das Verhalten auf den verschiedenen Ebenen mit spezifischen physikalischen Gesetzen, wie der Quantenphysik, klassischen physikalischen Gesetzen für makroskopische Objekte oder Modellen, die die physikalischen Eigenschaften von Materialien beschreiben.

  • Auf struktureller Ebene entstehen dissipative Strukturen, deren Zusammenspiel auf struktureller Ebene durch kein physikalisches Gesetz beschrieben werden kann. Stattdessen verwenden wir Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, um ihre Wechselwirkungen zu beschreiben. Eine Struktur verursacht eine Wirkung in einer anderen Struktur. Kausalität tritt also ausschließlich auf der strukturellen Ebene auf.

  • Alle diese Aspekte beziehen sich nur auf unsere Beschreibung der Realität. Die Realität selbst verhält sich nur in einer bestimmten Weise und kennt vor allem unsere physikalischen Gesetze nicht.

Bevor die Frage beantwortet werden kann, wie Kausalität zu verstehen ist, muss zunächst Kausalität definiert werden. Hier soll die Definition von Honderich verwendet werden: Eine Ursache ist als individueller Auslöser oder eine kleine Anzahl von Auslösern anzusehen, die eine Wirkung bedingen, die nicht eingetreten wäre, wenn die Auslöser nicht stattgefunden hätten, unabhängig von einer konsistenten Variation der Umgebungsbedingungen (Honderich: A Theory of Determinism: The Mind, Neuroscience, and Life-Hopes. Oxford University Press, Oxford, 1988). Während die erste Bedingung, die sogenannte kontrafaktische Konditional, dem gesunden Menschenverstand entspricht, schränkt die zweite Bedingung, dass eine Ursache nur kausal ist, wenn sie auch trotz einer konsistenten Variation der Umgebung ihre Wirkung entfaltet, die Allgemeingültigkeit ein und wird im Folgenden wichtig werden. Die Kausalität wird nun auf den verschiedenen Ebenen analysiert, auf denen wir die Realität beschreiben.

Als erstes soll die molekulare Ebene betrachtet werden. Wie auf der vorherigen Seite dargestellt, sind die molekularen Vorgänge in einem universellen Netzwerk von Wechselwirkungen hochgradig untereinander verknüpft. Diese Wechselwirkungen induzieren letztendlich zufällige Bewegungen aller Teilchen. Die Konsequenzen werden offensichtlich, wenn man testweise davon ausgeht, dass man das Verhalten eines Moleküls als Wirkung mit dem Verhalten eines anderen Moleküls als Ursache verknüpfen könnte. Dann würde jede Variation eines der anderen Moleküle des Universums innerhalb von Pikosekunden zu einem anderen Verhalten des betroffenen Moleküls führen. Der Einfluss des verursachenden Moleküls auf das betroffene Molekül wäre also nicht unabhängig von den konsistenten Variationen der Umgebung. Molekulare Wechselwirkungen können daher nicht als kausal angesehen werden. Dennoch wird in einem deterministischen Weltbild das Verhalten jedes Moleküls vollständig durch die Wechselwirkungen mit allen anderen Molekülen festgelegt.

Ähnliche Überlegungen gelten für die Quantenebene, die mit Hilfe der Quantenphysik beschrieben werden kann. Im Prinzip können auf dieser Ebene zwei Standpunkte vertreten werden. Entweder kann die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie angewendet werden, die davon ausgeht, dass die Wahrscheinlichkeitsfunktionen, die durch die Quantentheorie beschrieben werden und welche die auf dieser Ebene beobachteten Unsicherheiten berücksichtigen, alles sind, was die Realität ausmacht. Der alternative Standpunkt ist die Annahme, dass eine genaue und deterministische Realität auf einer kleineren Ebene existiert, auf der die Partikel durch sogenannte versteckte Variablen beschrieben werden, wobei diese genauere Realität aufgrund grundlegender Einschränkungen nicht experimentell zugänglich ist. In der Kopenhagener Interpretation wird davon ausgegangen, dass sich die Elementarteilchen innerhalb der in der Quantentheorie charakterisierten Wahrscheinlichkeitsfunktionen zufällig verhalten. Somit kann jede kausale Interaktion zwischen Elementarteilchen ausgeschlossen werden, da Zufälligkeit das Verhalten dominiert. Wird ein genaues Verhalten mit versteckten Variablen angenommen, gilt die gleiche Überlegung wie auf molekularer Ebene. Deterministisches Chaos ist zu erwarten, was faktisch ebenfalls zu Verhalten führt, in dem Kausalität nicht festgestellt werden kann, wie gerade bei Molekülen beschrieben. Auf der Quantenebene kann also nach beiden Interpretationen keine Kausalität festgestellt werden.

Als nächste Ebene soll die makroskopischer Objekte betrachtet werden. Ein typisches Beispiel für diese Ebene sind Billardkugeln, die auf einem Billardtisch zusammenstoßen. Bevor die Kausalität auf dieser Ebene analysiert werden kann, muss geklärt werden, was auf der makroskopischen Ebene tatsächlich zu berücksichtigen ist. Natürlich kann der Zusammenstoß zweier Billardkugeln auch auf molekularer Ebene beschrieben werden. Gleichzeitig hängen die Details des Stoßes von der fast perfekt kugelförmigen Form der Kugeln ab, die sich tatsächlich auf die nächste zu betrachtende Ebene bezieht, nämlich die der Strukturen. Auf der makroskopischen Ebene sind daher nur Materialeigenschaften und die grundlegenden Gesetze über die Wechselwirkung makroskopischer Objekte zu betrachten, die beispielsweise mit den Newtonschen Bewegungsgesetzen beschrieben werden. Die Materialeigenschaften wie die Härte von Eis oder die Dichte der Billardkugel werden durch die Eigenschaften der Moleküle bestimmt, aus denen die Billardkugel besteht. Diese Festlegung ist kein kausaler Zusammenhang, da sie nicht auf einzelne molekulare Parameter zurückgeführt werden kann, wie z.B. die Wechselwirkungskraft zwischen zwei Molekülen in einer bestimmten Ausrichtung und Entfernung. Würde einer dieser molekularen Parameter verändert, könnten die makroskopischen Eigenschaften dennoch identisch realisiert werden, wenn einige der anderen molekularen Parameter entsprechend angepasst würden. Auch physikalische Gesetze für makroskopische Objekte stellen keine Kausalität dar. In der Gleichung Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung ist weder die Kraft Ursache für die Beschleunigung noch die Masse Ursache für die Kraft. Das physikalische Gesetz stellt vielmehr eine Beziehung zwischen Werten der beobachteten Variablen dar, die als Ergebnis eines physikalischen Experiments zu erwarten sind. Somit kann auch auf makroskopischer Ebene kein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang gefunden werden.

Die nächste zu betrachtende Ebene ist die Strukturebene. Ein Beispiel für eine dynamische Struktur ist in Abbildung 1 dargestellt. Diese Struktur wurde durch Erhitzen einer dünnen Schicht Silikonöl in einer Pfanne erzeugt, der kleine Partikel aus Aluminium zugegeben wurden. Bei geringer Erwärmung wird die Wärme einfach durch den ruhenden Flüssigkeitsfilm durch Wärmeleitung übertragen. Sobald die Erwärmung über ein bestimmtes Maß hinausgeht, treten sogenannte Rollzellen als emergentes Phänomen auf, wie in Abbildung 1 dargestellt. Diese Strukturen werden als dissipative Strukturen bezeichnet, da sie durch Dissipation angetrieben werden, wobei in diesem Fall die von unten zugeführte Wärme an die darüber liegende Luft dissipiert wird. Dieser Wärmestrom durch den Film induziert die Rollenzellen, wobei in der Mitte jeder Zelle die Flüssigkeit von unten nach oben strömt, dann zum Zellenumfang und schließlich wieder nach unten fließt. Wird die Erwärmung gestoppt, bleiben die Strukturen sichtbar, so dass solche dynamischen Strukturen prinzipiell auch zu zurückgelassenen statischen Strukturen führen können. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die Strukturen in den Bénardzellen in Abbildung 1 zwar von den Silikonöl-Molekülen abhängen, den Zellen aber "egal" ist, welche einzelnen Moleküle die jeweilige Zelle bilden, die Strukturen also eine gewisse Ignoranz in Bezug auf die Details der unteren Ebenen haben.

Bénard cells

Abbildung 1: Bénardzellen von oben gesehen in einer dünnen Schicht aus Silikonöl, die von unten erwärmt wurde und die mit Aluminiumpartikeln visualisiert werden.

 

Die Situation bei den Rollzellen ist völlig anders als das Verhalten auf den darunter liegenden Ebenen. Wenn eine Zelle vorgegeben ist, gibt kein physikalisches Gesetz an, wo genau die anderen Zellen zu finden sind und z.B. welche Größe sie haben sollten. Dennoch ist klar, dass eine Rollzelle direkt erzwingt, dass eine Nachbarzelle entsteht. Dies kann als eine einfache Form des kausalen Zusammenhangs betrachtet werden. Eine Zelle verursacht die benachbarte Zelle, ohne deren individuellen detaillierten Eigenschaften festzulegen. Die Aussage bezieht sich nur auf die Zusammenhänge zwischen den Strukturen. Eine Struktur zwingt eine andere Struktur ins Dasein oder definiert das Verhalten einer anderen Struktur. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass konventionelle Beispiele für Kausalität genau diesem Muster folgen. Wenn Bill zum Beispiel einen Stein wirft, der ein Fenster zerbricht, dann ist es die Struktur von Bill, die die Struktur des Steins zum Fliegen bringt, die dann mit der Struktur des Fensters interagiert, dessen Verhalten dann dazu bestimmt ist zu zerbrechen. Somit kann Kausalität nur auf struktureller Ebene festgestellt werden, da auf niedrigeren Ebenen keine Kausalität exisitiert. Während wir also auf den unteren Ebenen die Quantenphysik, die klassische Physik und die Modelle für Materialeigenschaften verwenden, um das Verhalten der Realität zu beschreiben, nutzen wir auf der strukturellen Ebene Ursache-Wirkungs-Beziehungen, um die beobachteten Zusammenhänge zu charakterisieren

Abschließend ist es wichtig zu erkennen, dass sich diese Darstellung nur auf unsere Beschreibung der Realität bezieht. Die Realität selbst interessiert sich eigentlich nicht für diese Ebenen unserer Beschreibung. Das ist natürlich trivial offensichtlich, denn warum sollte sich die Realität um die mathematischen Konstrukte kümmern, die der Mensch geschaffen hat, um die Zusammenhänge der Beobachtungen der Realität zu beleuchten? Vermutlich interessiert sich die Realität nicht dafür. Und natürlich könnten die Bénardzellen alternativ beschrieben werden, indem man die Neutronen, Protonen und Elektronen charakterisiert, aus denen die Moleküle bestehen, die wiederum die Rollzellen bilden. Das wäre eine mühsame Aufgabe, die aber im Prinzip durchführbar ist. Und natürlich ist das gleiche Ergebnis zu erwarten. Daher ist es unsere menschliche Entscheidung, die unteren Ebenen zu ignorieren, wenn wir versuchen, Beobachtungen auf den höheren Ebenen zu beschreiben. Möglicherweise werden diese Zusammenhänge noch deutlicher, wenn man eine Aussage betrachtet, die nur auf den ersten Blick offensichtlich ist. Ist es nicht offensichtlich, dass die Rollzellen ihrerseits bestimmen und damit verursachen, dass sich die Moleküle genau so bewegen, wie sie es tun, nämlich dem Strömungsregime jeder Zelle folgen? Dass dies nicht so offensichtlich sein sollte, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es eigentlich die Moleküle sind, die sich aufgrund ihrer individuellen Struktur unter den gegebenen Randbedingungen so bewegen, dass wir auf makroskopischer Ebene die Struktur der Bewegung als Rollzellen betrachten. Welche Ebene zwingt nun welche Ebene zur Reaktion? Dies kann gelöst werden, indem man mit Ernst Mach realisiert, dass die Natur "nur einmal da ist" (Ernst Mach: Die Mechanik in ihrer Entwickelung - historisch-kritisch dargestellt. 3. Auflage, 1897, F.A. Brockhaus, Leipzig). Die Natur kennt keine Ursache und keine Wirkung, sie kennt oder befolgt auch keine physikalischen Gesetze. Diese mentalen Konstrukte sind Erfindungen des Menschen, um die in der Realität beobachteten Effekte zu verstehen. Die verschiedenen Ebenen erweisen sich nur als nützlich, da es anscheinend möglich ist, die Beobachtungen auf einer Ebene zu beschreiben, ohne das detaillierte Verhalten der darunter liegenden Ebenen zu berücksichtigen. Das Verhalten auf niedrigerer Ebene wird nur über gemittelte Eigenschaften erfasst. So ist beispielsweise die Dichte ein Ergebnis der molekularen Wechselwirkungen und beschreibt für eine große Anzahl von Einzelmolekülen eine gemittelte Eigenschaft, bei der Dichte, wie viel Raum alle Moleküle zusammen im Durchschnitt einnehmen. Die Frage nach der Dichte eines einzelnen Moleküls ist dagegen nicht sinnvoll.